Historische Theologie

Susi-Hilde Michael: Der Katechismus des David Chytraeus

Susi-Hilde Michael: Der Katechismus des David Chytraeus. Edition und Übersetzung, Leipzig: EVA, 2016, geb., XXXIV+262 S., € 88,–, ISBN 978-3-374-04292-0

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Ein historischer Katechismustext kann für viele Fachrichtungen interessant sein. Kirchen- und Theologiegeschichte, Dogmatik und vielleicht sogar für den kirchlichen Unterricht? Die theologischen Lehrtexte des David Kochhaf (Chytraeus, 1530–1600) aus der Zeit der Spätreformation bzw. der Frühorthodoxie können nicht eindeutig einem bestimmten Fachinteresse zugeordnet werden. Vorliegende Edition und ihre Einleitung sind auch weniger an Fragestellungen von Theologen interessiert. Das Werk der Rostocker Historikerin Susi-Hilde Michael ist vielmehr historisch ausgerichtet: Sie will einen für Schule und Universität wichtigen Text in einer soliden Neuauflage bereitstellen, der aber nach seinem Inhalt sachgemäß vor allem Theologen interessieren wird. Michael veröffentlicht im vorliegenden Band nicht nur die Catechesis in Academia Rostochiana ex praelectionibus Davidis Chytraei collecta von 1554 und die umfangreichere Fassung, die in der Catechesis Davidis Chytraei. Postremo nunc ab ipso autore recognita et multis in locis utiliter aucta von 1599 vorliegt; sie erstellt erstmals auch eine moderne deutsche Übersetzung des Textes von 1554.

Im ersten Teil des Werkes legt die Herausgeberin hauptsächlich Rechenschaft über die angewendeten Editionsrichtlinien und Übersetzungsmethoden ab (XV–XVIII). Den Editionen ist jeweils ein kritischer Apparat angefügt, bei notwendigen Stellen- und Literaturangaben ein zweiter Apparat.

Der 2. Teil stellt die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der beiden Texte dar. Er enthält am Anfang einen biographischen Überblick über das Leben von David Chytraeus (XIX–XXXIV). Der aus dem Kraichgau stammende Theologe melanchthonianischer Prägung wurde 1551 von Wittenberg nach Rostock berufen. Dort hatte er maßgeblichen Anteil am Entstehen einer evangelischen Universität und am Aufbau der evangelischen Kirche in Mecklenburg (XXI). Mit 183 Drucken der verschiedenen Ausgaben des Katechismus von 1554 bis 1613 ist eine sehr hohe Zahl von Ausgaben des Werkes bekannt. Zehn davon wurden in den dreizehn Jahren nach dem Tod des Chytraeus verlegt (XXIV). Im 4. Teil des Buchs werden sie tabellarisch zusammengestellt (227–242). Vermutlich wurde die erste Ausgabe von Johannes Aurifaber besorgt (XXX).

Die eigentliche Edition der Katechismustexte und die Übersetzung finden sich im dritten Teil, der maßgeblich den Umfang des Buchs beeinflusst, so in Teil 3.1: Catechesis in Adademia Rostochiana ex Praelectionibus Davidis Chytraei Collecta, Rostock u. Wittenberg, 1554 = die Edition des lateinischen Textes von 1554 (5–51), auf den Seiten 53 (Textbeginn: 57) bis 118 Teil 3.2, der die deutsche Übersetzung des Lehrbuchs präsentiert: „Der an der Rostocker Akademie anhand der Vorlesungen des David Chytraeus zusammengestellte Katechismus – Die deutsche Übersetzung“, schließlich als Teil 3.3 die Catechesis Davidis Chytraei. Postremo Nunc ab Ipso Autore Recognita et multis in Locis Utiliter Aucta – Die Edition des lateinischen Textes, Frankfurt (und Leipzig), 1599 (119–226).

Teil 4 stellt das schon erwähnte Verzeichnis der ermittelten Drucke zusammen. Im fünften Teil ist ein praktisches Personenglossar der im Text genannten Theologen, Philosophen und Politiker beigegeben (243–251). Die 22 Personen werden nicht nach ihren üblichen Lexikoneinträgen, sondern unter der im Katechismus genannten Form aufgeführt, also Erhard Schnepf unter „Snepius“; Melanchthon findet sich bei „Philipp“, und Johannes Damaszenus unter „Damascenus“. In diesen Fällen wären Verweise von der vorliegenden Form auf die allgemein gebräuchliche Ansetzungsform der Namen angebracht gewesen. Für Leser, die der Theologie und Philosophie kundig sind, hätten auch kürzere Lebensläufe beispielsweise zu Athanasius, Augustinus, Aristoteles, Melanchthon und Luther ausgereicht. Ein Verweis auf den besten Internetartikel hätte es bei den bekannteren Persönlichkeiten auch getan. Das Verzeichnis von Abkürzungen und Kurztiteln (Teil 6: 252f), eine Auswahlbibliographie mit Quellenverzeichnis (Teil 7: 254–261) und der Quellen­nachweis (Teil 8: 262) beschließen den Band.

Chyträus orientiert sich in seiner Darstellung des „Hauptgegenstandes der Lehre“ stark an Melanchthons „Heubtartikeln Christlicher Lere“ von 1553 (57, vgl. z. B. 60f und 128 lat. die zehn Hauptthemen der Lehre). Er antwortet auf die auch heute noch gestellte Frage, warum es sinnvoll ist, den Katechismus auswendig zu lernen: „Alle Menschen wurden geschaffen, damit sie Gott – gemäß der von Christo überlieferten Lehre – anerkennen, anrufen und verehren. Deshalb muss es das erste Verlangen des Menschen sein, den Katechismus beziehungsweise die christliche Lehre zu lernen.“ (59, lat.: 6).

Der Verfasser spricht in heute selten zu hörender Klarheit von den ewige Strafen, die dem Ungehorsam gegenüber Gottes Gesetz folgen (67, lat.: 13), ebenso vom Weltgericht und vom doppelten Weltausgang, ewigem Tod oder ewigem Leben (218f). Nicht umsonst schreibt Landesbischof Andreas von Maltzahn in seinem Geleitwort zur Edition (V–VI), dass ihn manches nachdenklich stimmt, z. B. „Zwölf erbeigenen Gründe des Verderbens der Kirche“ (108f). Praktisch orientiert sind Texte wie die Vaterunserauslegung (219–223) oder die „sieben heidnische[n] oder philosophische[n] Tröstungen“, die Chyträus vor den „12 Quellen des christlichen Trostes“ aufzählt (109f). Es fällt auf, dass erst in der längeren Version des Enchiridions von 1599 Schriftbelege für die Trinitätslehre angeführt werden (136f), ob man das Thema für allgemein bekannt gehalten hat? Nicht nur für diesen Fall wäre es für den heutigen Unterrichtsgebrauch einfacher gewesen, wenn die spätere und nicht die kürzere frühe Version auf Deutsch vorliegen würde. Bei einer theologischen Dissertation hätte der Leser erwarten können, dass in der Auswahlbibliographie (254f) weniger Lexikonbeiträge und mehr wichtige Titel der Sekundärliteratur zu Chyträus aufgeführt wird, zum Beispiel Untersuchungen des in Ansbach wohnenden Spezialisten für Chyträus und weitere frühorthodoxe Theologen, Prof. Rudolf Keller. – In vorbildlicher Weise hat Andreas Stegemann das dogmatische Kompendium eines weiteren wichtigen Rostocker Theologen erschlossen, Johann Friedrich König: Theologia positiva acroamatica (Rostock 1664) hrsg. u. übers. von Andreas Stegmann (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), dazu seine Dissertation: Johann Friedrich König; Seine Theologia positiva acroamatica im Rahmen des frühneuzeitlichen Theologiestudiums (BHT 137, Tübingen: Mohr Siebeck, 2006). Die begrenzte historische Aufgabenstellung der vorliegenden Chyträus-Edition wird hoffentlich nicht dazu führen, dass dieses wichtige evangelische Unterrichtsbuch auch trotz der vorliegenden Neuausgabe nicht angemessen wahrgenommen wird.

 

Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein, Redakteur des Jahrbuchs Biblisch erneuerte Theologie

 

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